Cross Innovation Lab: Ein neuer Weg zu mehr Innovation
Im Cross Innovation Lab arbeiten die kreativen Köpfe der Grundlagenforschung von DESY und der angewandten Forschung der HAW Hamburg Hand in Hand, um durch transdisziplinären Austausch frische Methoden für Transferinnovationen zu entwickeln. Dieser Workshop ist Teil des gemeinsamen Projekts „TransferWelten“ von DESY und der HAW Hamburg.

Als Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts eine der größten Erfolgsstorys der Industriegeschichte schrieb, hatte er das nicht zuletzt einem Prozess zu verdanken, den wir heute „Transferinnovation“ oder Englisch „Cross Innovation“ nennen: Eine Industrie übernimmt Ideen einer anderen – oder aus einer fachfremden Wissenschaftsdisziplin. Die Fließbandproduktion seines legendären Model T hatte sich Ford aus der Fleischindustrie abgeschaut: Beim Besuch eines Schlachthofs hatte er beobachtet, wie die Tiere dort in Fließarbeit über eine Art Förderband an der Decke verarbeitet wurden. Dieses Prinzip übertrug er auf seine Autofabrik.
So wurde das Model T das erste in Massen gefertigte Auto der Welt, über 15 Millionen Stück stellte Ford zwischen 1908 und 1927 her. Bis in die 70er Jahre, als es vom VW Käfer abgelöst wurde, blieb es das meistverkaufte Pkw-Modell. Denn mit einem Preis von 850 US-Dollar (nach heutiger Kaufkraft rund 22.000 Euro) war es unschlagbar günstig. Erstmals konnte sich die breite Bevölkerung ein Auto leisten.
Inzwischen hat es unzählige weitere Beispiele für Cross Innovation gegeben. Da funktionieren Sushi-Bars nach dem Prinzip des Gepäckförderbands am Flughafen, der erste faltbare Kinder-Buggy wird dem einklappbaren Fahrgestell des Flugzeugs nachempfunden und nicht zuletzt werden Magnettische in neuen Teilchenbeschleunigeranlagen leichter und dennoch stabiler durch Anleihen aus dem biologischen Konstruktionsprinzip winziger Kieselalgen.
TransferWelten: Wissenschaft und Kreativwirtschaft im Austausch
Oft geschieht Cross Innovation mehr oder minder durch Zufall. Doch im gemeinsamen, vom BMBF finanzierten Verbundvorhaben „TransferWelten“ möchten DESY und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) dieses Prinzip verstetigen und gezielt fördern. Und zwar, indem die Vertreter der Grundlagenforschung von DESY und die der angewandten Forschung der HAW Hamburg gemeinsam in drei Jahren eine Art Methodenbaukasten zusammenstellen, aus dem sich dann jeder bedienen kann, der solche Innovationen vorantreiben möchte.
Ein zentrales Werkzeug des Baukastens sind sogenannte Cross Innovation-Formate. Wie einst Henry Ford es vormachte, werden hier Expertisen aus verschiedenen Richtungen – in diesem Fall Forschung und Kreativwirtschaft – gezielt gebündelt, um in Workshops Ideen für zukunftsträchtige Produkte und Methoden zu entwickeln. Eine solch transdisziplinäre Form des Innovationstransfers ist auch eines der Hauptanliegen von Hi-Acts, und so hat die Innovationsplattform den ersten Workshop dieser Art, der sozusagen den Piloten für diesen Bestandteil der TransferWelten darstellt, finanziert. Hi-Acts hat die Hamburg Kreativ Gesellschaft, die auf solche Verfahren spezialisiert ist, beauftragt den Workshop durchzuführen. Diese ist eine städtische Einrichtung zur Wirtschaftsförderung durch kreative Beteiligung und verfügt über einen ganzen Pool Kreativschaffender aus allen möglichen Branchen, die sich für solche Workshops zur Verfügung stellen – und für ihren Einsatz auch ein Honorar erhalten. Und dieser Workshop wurde zu einem vollen Erfolg – mit auch für die Teilnehmenden überraschenden Ergebnissen.

Der Pilot-Workshop: Vom Brainstorming zur Innovation
In dem Workshop kamen fünf Forschende und Ingenieur:innen von DESY mit vier Expert:innen aus kreativen Berufen wie Medien und Design zusammen, um mittels einer Art geordnetem Brainstorming eine Innovation zu entwickeln. Methodisch angeleitet wurden sie dabei von zwei Fachleuten der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Zudem waren zwei Transfer-Spezialistinnen von DESY und HAW Hamburg dabei, um das Ganze für die TransferWelten zu monitoren.
Über drei Wochen verteilt trafen sich die Teilnehmenden an neun Tagen, um an einem zehnten, abschließenden Tag ihre Ergebnisse zu präsentieren. „Die einzige Vorgabe war, dass unsere Innovation nachhaltig sein sollte“, berichtet der Hamburger Produktdesigner Sebastian Mends-Cole, der als einer der vier Kreativschaffenden von der Kreativ Gesellschaft ausgewählt wurde.
Zu Beginn des Labs galt es also zunächst einmal das Thema einzugrenzen und dann konkrete Ideen zu generieren. Für Letzteres wandten die Teilnehmenden die Methode des Design Studios an: Jeder Forscher, Ingenieur und Kreativschaffende skizzierte binnen zehn Minuten zehn Ideen auf Papier – so verrückt und undurchdacht sie vielleicht auch waren. „Da blieb gar keine Zeit fürs Hinterfragen“, sagt ein weiterer der vier teilnehmenden Kreativen, der Hamburger Journalist Laslo Seyda. „Dieses schnelle Visualisieren per Filzstift, einfach mal herumspinnen, war für mich ein totaler Kopföffner, den ich in meinem Alltag eher selten erlebe. Von Berufswegen her muss ich Ideen und Konzepte erst einmal kritisch gegenüber sein, recherchiere lange, wäge Argumente und Teilaspekte sorgfältig ab.“
Auch für David Reuther, seit 16 Jahren als Ingenieur am DESY in der Forschung mit Photonen an PETRA III und zuletzt in der Hochenergiephysik tätig, war die Herangehensweise neu: „Als Ingenieur bin ich gewohnt, bei einer neuen Idee gleich die nächsten Schritte zu durchdenken. Hier jedoch haben wir uns einfach kreativ ausgetobt, und ich musste auch wilde Gedanken anderer einfach mal auf mich einprasseln lassen. Als ich dann sah, wie wir durch spezielle Methoden etwa des Design Thinking aus dem vermeintlichen Chaos Schritt für Schritt zu einer konstruktiven Lösung kamen, war ich sehr erstaunt. Ich erlebe das als große Bereicherung und hoffe, es demnächst ähnlich auch in Projekten bei DESY anwenden zu können.“
Das Ergebnis: SOL.R - Eine öffentliche Solarladestation
Die Methoden erscheinen recht einfach, sind aber effektiv: Beim „product field“ etwa werden Kriterien für eine nachhaltige Erfindung auf Post its gesammelt, an die Wand geheftet, um dann in der Gruppe unter Berücksichtigung möglichst vieler der wichtigsten Kriterien einen Satz zu formulieren, der eine mögliche Innovation beschreibt. So fanden die Teilnehmenden zu ihrer Innovation: SOL.R. – eine öffentliche solarbetriebene Ladestation, an der Nutzerinnen und Nutzer ihre Handys, Tablets und Laptops aufladen können, im Tausch für den bereitgestellten Strom aber zur Teilnahme an einem kurzen Quiz über Energieverbrauch und Nachhaltigkeit allgemein verpflichtet. Mit jedem neuen Block an Fragen, den die Nutzerinnen und Nutzer beantworten, dürfen sie sich mehr Energie ziehen. Ein Trojanisches Pferd, das Menschen einen kostenlosen Service bietet, sie aber insgeheim für Klima- und Umweltschutzthemen sensibilisiert.
Die Station, so die Idee, hat aber noch zusätzlichen Nutzen: Bei DESY entstehen fortwährend interessante neue nachhaltige Technologien wie neuartige Batterien, leistungsfähige Energiespeicher oder umweltfreundliche Materialien. Die Station bietet die Gelegenheit, sie in der Praxis zu testen. Sie soll modular aufgebaut sein, damit etwa die Stromversorgung durch verschiedene Arten von Solarpanelen möglich ist und einzelne Komponenten austauschbar sind. Die erste Station könnte zum Beispiel irgendwo in der neuen Science City Bahrenfeld aufgestellt werden und bei Erfolg würden weitere etwa in Hamburger Stadt- und Freizeitparks, vielleicht auch auf Schulhöfen folgen. Zunächst gelte es allerdings, Projektleitende zu bestimmen, eine Finanzierung zu finden, und das Konzept in weiteren Workshops genauer auszuarbeiten. „SOL.R könnte so dazu beitragen, den Menschen den Sinn und Zweck großer Beschleunigeranlagen wie PETRA 3 und PETRA 4 zu erklären“, sagt Sebastian Mends-Cole.

Brückenschlag zwischen Wissenschaft, Kreativität und Gesellschaft
Mends-Cole hat schon häufiger an Cross Innovation Labs teilgenommen. „Bislang war das allerdings immer ein Zusammenspiel von Kreativen mit Vertretern der Wirtschaft. Ein Lab mit Forschern und Ingenieuren war auch für mich neu.“ Es sei spannend zu sehen gewesen, wie diese sich nach anfänglicher Skepsis öffneten, als sie erkannten, dass sie in diesem Prozess mit Formeln und Kalkulationen nicht vorwärtskamen. „Es gibt da meines Erachtens immer noch eine große Lücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die es zu füllen gilt. Wenn beide häufiger aufeinandertreffen und sich austauschen, anstatt dass jeder für sich in seinem Gebiet tüftelt, könnten wir die Innovationkraft deutlich steigern“. Dabei lande man auch häufig in Sackgassen, und man könne auch nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Doch oft führe dann eine ungeahnte Rekombination bereits bestehender Erkenntnisse zum Ziel. Und da könne eben gerade der Blick von außen den Durchbruch bringen.
Die Zukunft der Cross Innovation bei TransferWelten
Solche Durchbrüche bei Innovation und Transfer durch transdisziplinären Austausch herbeizuführen, ist ein Hauptziel von TransferWelten. Wobei der Ansatz von Cross Innovation den Projektpartnern keineswegs neu ist: „Wir hatten zum Beispiel einmal die Anfrage einer Modedesignerin“, berichtet Zahra Saleh von der Abteilung Innovation&Technology Transfer bei DESY. Sie wollte ein Unternehmen gründen, das neuartige Funktionskleidung mit effektivem Schutz gegen Sonneneinstrahlung für Autoimmunerkrankte entwickelt und verkauft – allerdings mit modischem Anspruch, so dass man die Sachen ganz normal tragen kann. In der Forschungsabteilung für neue Materialien von DESY gab es einen Forscher, der mit passenden Biomaterialien arbeitete und ihr helfen konnte.
„Das ist das Spannende“, sagt Tatjana Timoschenko, die als Co-Projektleiterin der TransferWelten vonseiten der HAW Hamburg an dem Cross Innovation Lab teilnahm. „An den Forschungszentren und Hochschulen haben wir oft Knowhow, dessen vollständiges Potenzial uns gar nicht bewusst ist, bis wir im Austausch mit Externen auf Ideen kommen, wofür diese Expertise noch von Nutzen sein könnte.“ Sowohl in der angewandten Forschung der HAW Hamburg als auch der Grundlagenforschung von DESY schlummerten wahrscheinlich noch zahlreiche Lösungen für gesellschaftliche Probleme oder Produktentwicklungen, die nur auf den richtigen Interessenten warten. Mit weiteren Cross Innovation-Formaten will man diese Herausforderung nun gezielt angehen. Die Kunst sei es, dafür die richtigen Leute zusammenzubringen. Und dazu ist ein Projekt wie TransferWelten und eine Innovationsplattform wie Hi-Acts mit Unterstützung einer Institution wie der Hamburg Kreativ Gesellschaft besonders gut in der Lage.
„Wir brauchen solche Initiativen und Plattformen für mehr Dialog“, findet Laslo Seyda, „damit sich die Informationsblasen der Beteiligten stärker überlappen und gegenseitig befruchten können. DESY, die HAW Hamburg und einige andere Institutionen haben das erkannt und könnten so für den Standort Deutschland zum Gamechanger werden.“
Henry Ford wäre wohl erfreut zu sehen, dass das Prinzip, das er vor über hundert Jahren mitgeprägt hat, ein Revival feiert. Mit dem Unterschied, dass das Fließband heute in den Köpfen rattert. Aber auch die Innovation muss sich stets neu erfinden.