Eine Klasse für sich

Class 5 Photonics

„Class 5 Photonics“ – wie kam es zu diesem Firmennamen? Jüngere Menschen denken dabei wahrscheinlich an die fünfte Schulklasse. Was ziemlich weit daneben liegt. Ältere fühlen sich womöglich an die Kategorien von Wirbelstürmen erinnert:

Hurrikane der Kategorie 5 sind die heftigsten von allen. Und damit kommen sie der Sache schon näher: „Class 5 Photonics“ steht für Laser der fünften Klasse. Und wer sich etwas auskennt, weiß, dass es da eigentlich nur vier gibt. Klasse 1 sind jene Laser, die bei vernünftigem Umgang ungefährlich sind – Laserpointer etwa, solange man sie nicht direkt aufs Auge richtet. Klasse 4 dagegen umfasst Laser mit derart viel Energie, dass sie Augen und Haut verätzen und Brennbares entzünden, ja gar Explosionen auslösen können; selbst ihr Streulicht ist noch gefährlich. Solche Hochleistungssysteme werden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen vor allem in der Forschung eingesetzt – in Physik, Chemie und Biologie – um die Natur im Kleinsten zu studieren. „Und da haben wir noch einen drauf gesetzt“, sagt Michael Schulz. „Denn insbesondere zur Untersuchung von Strukturen und Bewegungen im Nanobereich braucht man heute immer leistungsstärkere Laser“, ergänzt Robert Riedel.

Michael Schulz und Robert Riedel sind zwei der Gründer von Class 5 Photonics. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Forschungsinstitute mit hoch anspruchsvollen Lasersystemen auszustatten – und diese so zu gestalten, dass auch fachfremde Forscher sie sicher bedienen können. Die beiden gehörten bis vor sechs Jahren als Doktoranden und Post-Doktoranden zu einer Arbeitsgruppe bei DESY, einer Helmholtz Young Investigator Group, die solche Hochleistungssysteme entwickelte und betrieb, um Forschungsprojekte durchzuführen – auch im Auftrag externer Unternehmen und Einrichtungen. „Die Anfragen kamen so häufig, dass die Idee in uns reifte, daraus ein Geschäft zu machen“, erinnert sich Schulz.

Solche Vorhaben, aus dem Forschungsbetrieb heraus Spin-offs zu gründen, werden von DESY ausdrücklich begrüßt. Über die Jahre hat es sogar eine umfangreiche Infrastruktur aufgebaut, um Mitarbeiter aus den eigenen Reihen und jenen von Partnerinstituten, die auf dem Campus forschen, dabei zu unterstützen: Die Abteilung Innovation & Technologietransfer (ITT) mit ihrem Start-up-Office identifiziert gemeinsam mit den Forschern vielversprechende Neuentwicklungen, prüft das Vermarktungspotenzial, hilft bei der Patentierung und rechtlichen Fragen, gibt wertvolle Tipps für die Gründung und die ersten Schritte im Markt.

Als Schulz und Riedel 2014 Class 5 Photonics zusammen mit Franz Tavalla und Mark Pandolini, die heute als stille Teilhaber agieren, ausgründeten, gehörten sie zu den ersten und wurden sowohl von DESY als auch dem Helmholtz Institut Jena, wo einige der Forscher angesiedelt waren, gefördert. „Die Beratungsangebote waren eine enorme Hilfe, weil wir uns am Anfang naturgemäß noch nicht so gut auskannten“, sagt Riedel. „Außerdem erhielten wir für die Entwicklung unseres ersten Prototyps eine Finanzierung von der Investitions- und Förderbank Hamburg und wir haben beim Helmholtz Enterprise Programm mitgemacht, das Gründer mit Stipendien fördert. So fiel es uns wesentlich leichter, aus dem Nest zu springen und zunächst einmal auf die Weiterentwicklung unserer Produkte zu konzentrieren.“ Anfangs teilten er und Schulz sich auf dem DESY-Campus ein Büro, in dem sie ihre Pläne schmiedeten, und ein Labor, in dem sie an ihren Systemen tüftelten. Inzwischen ist das Team auf zehn Mitarbeiter angewachsen und die Zahl der Labore auf drei. „Unser Baby wächst und gedeiht“, freuen sich die Gründer. Längst kann es auf eigenen Beinen stehen und sich von den Umsätzen selbst tragen.


Class 5 Photonics entwickelt Lasersysteme, die im Prinzip Filmaufnahmen der untersuchten Gegenstände oder Prozesse machen. Dazu schießen die Laser ultrakurze Pulse von jeweils nur wenigen Femtosekunden (eine Femtosekunde ist eine Billiardstel Sekunde) Dauer auf eine Probe ab – und zwar zigtausende bis Millionen pro Sekunde. So wird der Vorgang also in kürzester Abfolge ganz oft belichtet, und es kommt eine Bildabfolge von extrem hoher zeitlicher Auflösung zustande. Zum Vergleich: Ein Film im Fernsehen sendet nur 25 Bilder pro Sekunde. „Mit unseren Lasern können Forscher zum Beispiel die Bewegungen von Biomolekülen beobachten – etwa wenn man herausfinden möchte, wie Medikamente wirken.“
Anfangs waren die Class 5-Systeme  noch auf physikalische und chemische Forschung spezialisiert – jene Felder, aus der die Gründer kommen. Doch neuerdings entwickeln sie ihre Produktpalette, die modular aufgebaut ist, auch in Richtung Bioimaging. „Türöffner war da ein Professor, der vor einer Weile an uns herantrat. Er will in den Gehirnen von Mäusen präzise verfolgen, wie die Neuronen Signale weitergeben, während die Maus etwas Bestimmtes tut“, erzählt Riedel. „Dazu brauchte er ein optisches System mit enormer Leistungsfähigkeit – und wir waren die einzigen, die das hinbekommen haben.“

Inzwischen bietet Class 5 Photonics mehrere Systeme auch für die biologische Forschung an und arbeitet in dem Bereich mit einem großen Laserkonzern zusammen. Von diesem stecken nun einzelne Komponenten in den Systemen, und er bringt viel Erfahrung im Vertrieb auf diesem Markt mit. „Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die wir beim Gründen gewonnen haben“, sagt Riedel. „Man muss sich strategische Partner suchen und darf auch sonst keine Scheu haben, auf Messen und Veranstaltungen die Kollegen anzusprechen und Fragen zu stellen.“ Viele Herausforderungen, denen man als Start-up abseits der Produktentwicklung begegnet – von der Lagerhaltung bis zum Umgang mit Mitarbeitern –, haben andere schon gelöst, und sie erzählen meist auch bereitwillig wie. „Und wenn mal etwas nicht klappt oder skeptische Kommentare kommen, darf man sich nicht entmutigen lassen“, ergänzt Schulz. „Man muss immer auch die Chancen sehen, die sich bieten.“ Nüchtern betrachtet sei kritisches Feedback oft sogar besonders hilfreich, weil man sehe, was es zu verbessern gilt. Irgendwann kommen dann die Lorbeeren. Im Fall von Class 5 Photonics sogar sehr früh: 2018 gewann die Firma – gleich bei seiner ersten Bewerbung – den begehrten PRISM AWARD in der Kategorie Laser. Dieser stellt quasi den „Oscar“ der Laserbranche dar. Die Mitarbeiter waren mit einem System angetreten, mit dem man Experimente zehnmal schneller durchführen kann als mit herkömmlichen Systemen. „Eine völlig neue Kategorie von Laser – das hat die Jury umgehauen“, sagt Riedel.

Doch darauf ruhen sich die Firmengründer nicht aus. Sie suchen immer wieder neue Herausforderungen. Im Augenblick arbeiten sie zum Beispiel daran, ihr Angebot nicht nur in der Breite zu erweitern, sondern auch vertikal: „Wir wollen nicht mehr nur verschiedene Lasersysteme anbieten, sondern gleich dazu auch den Versuchsaufbau für Anwendungen in den diversen Forschungsfeldern“, sagt Schulz.
Und warum behalten sie bei dieser rasanten Entwicklung ihren Firmensitz auf dem DESY-Campus? Schließlich ist DESY kein Gesellschafter, die Firma komplett unabhängig. „Der Standort hier hat einfach viele große Vorteile“, sagt Riedel. „Wir können vorhandene Infrastruktur wie etwa Lager- und Laborräume nutzen, wir können uns jederzeit mit anderen Experten auf unserem und benachbarten Fachgebieten austauschen, und vor allem finden wir hier die richtigen jungen Wissenschaftler, die bei uns vielleicht mitmachen wollen, wenn sie fertig studiert haben. Denn wir brauchen ja immer wieder neue, engagierte Mitarbeiter.“

Bleibt am Ende noch die Frage, der sich Schulz und Riedel immer wieder stellen müssen, wenn sie sich mit Laien über ihre Arbeit unterhalten: Wann kommt endlich das Laserschwert? Sie selbst haben ihre Begeisterung für Lasersysteme nicht zuletzt auch Star Wars und anderen Science-Fiction-Utopien zu verdanken, in denen Lasertechnik oft eine große Rolle spielt. Die Antwort kommt wie aus der Laserpistole geschossen: „Wir arbeiten dran!“